Diese junge Stabhochspringerin hatte eine vielversprechende Zukunft – bis ein harmloses Foto alles gefährdete

Es ist das Jahr 2007 und in New York findet ein belebtes Sportereignis statt. Die aufstrebende Allison Stokke, die bereits fünf US-amerikanische Rekorde im Stabhochsprung gebrochen hat, will sich einen weiteren Sieg sichern. Sie macht sich bereit für einen Sprung, die Augen auf ihr Ziel gerichtet. Doch als die junge Frau sich bereit macht, richtet ein Fotograf sein Objektiv in ihre Richtung und fotografiert sie. Einige Zeit später wacht die Sportlerin auf und entdeckt Hunderte von Freundschaftsanfragen auf Facebook. Dann Tausende. Innerhalb weniger Wochen wurde das Leben der Athletin komplett auf den Kopf gestellt. Und warum? Wegen eines einzigen harmlosen Fotos..

Vor ein paar Jahrzehnten hätten das Foto von Stokke, das so viel Ärger verursachte, möglicherweise nur Leser der lokalen Zeitung gesehen. Aber heute ist das nicht mehr der Fall. Ein Foto kann sich heutzutage schnell über das Internet verbreiten, ohne dass jemand die Kontrolle darüber hat. Selbst wenn man selbst die Person auf dem Foto ist, wird man feststellen, dass man bei der Verwendung nicht mitbestimmen kann. Und genau das ist 2007 der jungen Stabhochspringerin passiert.

Tragischerweise hat Stokke nichts falsch gemacht. Es gab keinerlei Ermutigung oder Provokation von ihrer Seite. Dies hinderte das Bild jedoch nicht daran, viral zu gehen und schlimme Konsequenzen für die junge Frau und ihre Familie zu haben. Nachdem das Bild geteilt wurde, wurde es tatsächlich so schlimm, dass Stokkes Vater, ein Anwalt, aus Angst um die Sicherheit seiner Tochter Nachrichtengruppen durchsuchte.

Natürlich gibt es keinen geheimen Trick, was im Internet alles viral geht und was nicht. Das wird auch jedes noch so aufstrebende Instagram-Model bestätigen können, das ein wunderschönes Bild nach dem anderen im Austausch für ein paar tausend Likes veröffentlicht. Vielleicht wären sogar einige froh, wenn sie an Stokkes Stelle gewesen wären und den Hype um ein Foto gern als Sprungbrett genutzt hätten. Aber sie war kein Model und auch keine Influencerin. Sie war eine Sportlerin, und zwar eine sehr ambitionierte und erfolgreiche Sportlerin. Ihr sportliches Talent kommt auch nicht aus heiterem Himmel. Es ist ihr scheinbar auch ein Stückweit in die Wiege gelegt worden von ihrer Familie

Stokke kommt aus einer Sportlerfamilie und war vielleicht auch für den Erfolg in der Leichtathletik bestimmt. Aber ihre Karriere im Stabhochsprung war nicht immer selbstverständlich. Als sie in Kalifornien aufwuchs, überlegte der zukünftige Star, sich um ihren Bruder David zu kümmern und Gymnastik zu trainieren. Aber irgendwann entschied sie sich doch für den Stabhochsprung.

Stokke traf diese Entscheidung teilweise aufgrund der sozialen Aspekte beider Sportarten. Sie erzählte der Webseite DyeStatCal im Jahr 2004: „Beim Turnen kannte ich keinen meiner Konkurrenten und die Leute blieben irgendwie für sich. Auf der Strecke sind Leute, gegen die ich antretet, wirklich meine Freunde, und ich genieße es, sie alle bei den Treffen zu sehen.“

Und Stokke liebte das Stabhochspringen. Sie widmete sich dem Sport und trainierte dreimal wöchentlich mit Gewichten, um sich auf ihren Körper zu fokussieren. 2007 sagte sie der Zeitung The Washington Post: "In einem Gewölbe unter der Oberfläche passiert so viel." Genau wie in so vielen anderen Sportarten stolpert man nicht einfach in den Erfolg im Stabhochsprung. Er muss verdient werden.

Und Stokkes hartes Training im jungen Alter begann sich sehr schnell auszuzahlen. Sie war gerade einmal 15 Jahre alt, als sie einen neuen Rekord von über 4 Meter für einen Stabhochsprung aufstellte. Im darauffolgenden Jahr konnte sie erneut einen Rekord in ihrer Altersgruppe aufstellen. Die junge Athletin war eindeutig auf dem Weg zum großen Erfolg, nichts schien ihr im Weg zu stehen. Doch dann kam dieses eine Foto von ihr zustande, womit sie scheinbar einen ganz bestimmten Nerv traf. Als sich das Bild der jungen Stabhochspringerin 2007 wie ein Lauffeuer im Internet ausbreitete, war dies leider nicht nur auf ihre sportlichen Leistungen zurückzuführen. Es war einzig und allein eine Reduktion auf ihren jungen weiblichen Körper und somit eine Sexualisierung des Sports und eine Herabwürdigung ihrer Leistungen.

Das heißt natürlich nicht, dass Stokkes sportliche Fähigkeiten nicht von Wert waren. Immerhin belegte sie während der Highschool den zweiten Platz im CIF-Staatsfinale, obwohl sie gerade eine Erholungsphase hinter sich hatte, nachdem sie sich das Bein gebrochen hatte. Dann gewann sie den ersten Platz bei den Orange County Championships und wurde Sportlerin des Meet.

Stokke triumphierte als Athletin in der Sportwelt, was keine leichte Aufgabe ist. Schließlich wird eine Frau in ihrer Disziplin in der Regel weniger bezahlt als Männer und hat weniger Chancen, an Veranstaltungen teilzunehmen. Das Glamour Magazin berichtete 2019 - lange nach Stokkes rauer Erfahrung - dass der Frauensport nur 4 Prozent der Berichterstattung in den Medien erhält.

Und es gibt auch einige tief verwurzelte Stereotypen in der Welt des Sports. Oft hört man den Satz "Du wirfst wie ein Mädchen" oder “kämpfe wie ein Mann”, die natürlich als Beleidigung gedacht sind oder zumindest so verstanden werden. Aber es sind nicht nur diese Anspielungen und Herabwürdigungen, mit denen Sportlerinnen zu kämpfen haben. Es gibt seit Langem Debatten darüber, ob Sportlerinnen von den Medien und der Öffentlichkeit übersexualisiert werden und der Fokus dadurch nicht auf den Sport, die Leistungen und die Person gelegt wird, sondern auf das Optische reduziert wird. Dies betrifft auch nicht nur den Stabhochsprung, es zieht sich tatsächlich durch alle Sportarten.

Die australische Sportjournalistin Angela Pippos schrieb in ihrem 2017 erschienenem Buch „Breaking the Mould“ (zu Deutsch: “Neue Wege gehen”) über dieses ernste Thema. Sie merkte an: "Frauen [Sportlerinnen] fühlen sich unter Druck gesetzt, sich selbst zu übersexualisieren, um zu beweisen, dass sie noch weiblich sind, damit sie populärer werden und mehr Medieninteresse und Sponsoring anziehen können." So eine Entwicklung ist natürlich dramatisch, wenn junge Frauen sich dazu genötigt fühlen, sich sexier und freizügiger zu zeigen, um im Sport mehr Aufmerksamkeit und Geld zu erhalten. ‘Sex sells’ hat schon immer funktioniert, ist aber im Sport völlig deplatziert und unangemessen.

Aber Stokke hatte nicht einmal die Möglichkeit zu entscheiden, in welchem Licht sie sich zeigen wollte, bevor ihr Bild im Internet explodierte. Bis zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere hatte sich die junge Athletin einfach darauf konzentriert, in ihrer Disziplin voranzukommen. Sie teilte der DyeStatCal-Webseite im Jahr 2004 sogar mit, dass sie hoffe, im folgenden Jahr an den U18-Meisterschaften teilnehmen zu können.

Stokke erzählte der Webseite auch von ihren vielen Erfolgen. Sie sagte: „Ich fing an bei 2,90 m und habe mich dann auf 3,50 m hochgearbeitet, mit meiner größten Verbesserung von einer Woche zur nächsten, als ich 3,80m bei den Southern Section Masters (oder State Qualifying) - geschafft habe, was dazu führte, dass ich die national frosh-Rekordhalterin wurde.“

Der DyeStatCal-Bericht über Stokke endete mit den Worten: „Viel Glück auf ihrem Weg wünschen wir diesem sanftmütigen Star aus Orange County, der uns sicherlich die nächsten Jahre einen Grund geben wird, [...] im Internet ihre Bemühungen zu verfolgen – national, aber auch auf der ganzen Welt!" Das liest sich wie eine Vorahnung. Immerhin würde das Bild von Stokke aus dem Jahr 2007 eine Menge Online-Aufmerksamkeit erregen - nicht nur wegen der sportlichen Fähigkeiten der Stabhochspringerin.

Stokkes Stabhochsprungfähigkeiten waren jedoch sehr real. Tatsächlich hatte die Sportlerin vor 2007 nicht weniger als fünf Rekorde gebrochen und ein Stipendium der University of California erhalten. Sie hatte sogar einen Academic Excellence Award von ihrer Highschool erhalten.

Bei dem schicksalhaften Sporttreffen 2007 sah es gut für Stokke aus. Also, was ist schiefgelaufen? Nun, es war ein Fotograf anwesend, der Fotos für eine Sportwebseite machte. Und ohne die geringste Ahnung, was später passieren würde, machte er ein Foto von Stokke in ihrem für diesen Sport angemessen weißen Trägershirt, wie sie kurz davor war, ihren Sprung zu machen.

Leider ist das Problem beim Internet, dass jeder ein Foto finden und speichern kann. Und das Bild kann dann unabhängig von der Absicht des Fotografen verbreitet werden. Und obwohl es Urheberrechtsgesetze gibt, die dies verhindern, können Bilder schnell weit entfernte Ecken des Webs erreichen, ab da ist es schon zu spät- selbst wenn die Person auf dem Foto die Verbreitung verbieten möchte. Oder auch wenn sie 17 Jahre alt sind – wie Stokke damals.

Das betroffene Foto von Allison Stokke hatte nichts Anzügliches oder Provokatives. Sie stand einfach nur da und rückte sich ihren Pferdeschwanz zurecht, bekleidet mit Kleidung, die eine Person tragen würde, um an einem solchen Sportereignis teilzunehmen. Aber weil sie eine hübsche junge Frau war und ihre Taille zu sehen war, wurde sie von einigen Leuten sofort sexualisiert. Im Anschluss arteten die Reaktionen auf das Bild völlig unverhältnismäßig aus. Das Foto verbreitete sich rasant im Internet und wurde völlig aus dem sportlichen Kontext gerissen. Dabei ist Stabhochsprung sicher nicht der einzige Sport mit knappen Outfits, die aber der reibungslosen Ausführung des Sports und nicht der Unterhaltung der Öffentlichkeit dienen sollen.

Ein Mann namens Matt Ufford war derjenige, durch den das Bild viral ging. Nachdem er es in einer E-Mail erhalten hatte, veröffentlichte er es auf seiner beliebten Webseite WithLeather.com. Dieser Blog handelte stark mit Objektifizierung, wie die Überschrift, die Ufford verwendete, vollkommen klar macht. Sie lautete: "Stabhochsprung ist sexy, kaum legal."

Matt Ufford schrieb neben dem Foto: „Soweit ich anhand meiner rudimentären Internet-Ermittlungen erkennen kann, ist Allison vor weniger als zwei Monaten 18 Jahre alt geworden, und sie ist immer noch senior in Newport Harbor, welche als ich das letzte Mal überprüft habe - und ich überprüfe oft – eine Highschool ist. Das Schreiben solcher Posts ist genau der Grund, warum ich immer wieder mysteriöse, bedrohliche Voicemails von jemandem bekomme, der wie Chris Hansen klingt.“ Chris Hansen war von 2004 bis 2007 Gastgeber von "To Catch a Predator".

Ob Uffords Behauptung, sie sei "vor weniger als zwei Monaten 18 geworden", als das Foto gemacht wurde, richtig ist oder nicht, ist nicht bekannt. Eine anonyme Person wies in einem Kommentar darauf hin: "Wenn diese Bilder von ihr im letzten Jahr oder sogar vor zwei Jahren gemacht wurden, sehen wir uns dann nicht im Grunde Bilder einer 16-Jährigen an? Irgendwie widerlich."

Nicht alle Besucher von Uffords Seite teilten diese Ansicht. Einige Kommentatoren waren sogar offen sexuell. Und obwohl Chris Hansen leider nicht anrief, gab es einen Kommentar von jemandem, der sagte, Ufford habe kein Recht, die Fotos zu verwenden, und sie sollten entfernt werden. Das passierte auch, aber der Schaden war bereits angerichtet worden.

Und es waren Stokke und ihre Familie, die die Hauptlast dabei trugen. Sie sprachen im Mai 2007 mit Eli Saslow von der Zeitung The Washington Post. Es war vielleicht nicht überraschend, dass die junge Athletin von dem Vorfall schwer betroffen war. Saslow schrieb: „Sie wird in Coffeeshops erkannt und angestarrt. Sie schließt ihre Türen ab und versucht, das Haus nicht alleine zu verlassen.“

Stokke erzählte der Interviewerin, wie sie online mehreren sexuellen Kommentaren ausgesetzt war, von denen einige auch ihre Eltern gesehen haben. Ihre Mutter Cindy sagte: „Alles ist wie ein Umkleideraumgespräch. Solche Sachen gibt es schon seit Jahren. Aber jetzt findet dieses Umkleideraumgespräch in der Öffentlichkeit statt. Und wir alle können es lesen - sogar ihre Mutter.“

Die Familie arbeitete hart daran die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ein gefälschtes Facebook-Profil in Stokkes Namen wurde erstellt, und der Technologieriese wurde angewiesen, es zu entfernen. Aber sonst konnte man nicht viel machen. Stokke sagte: „Auch wenn nichts davon illegal ist, fühlt sich alles wirklich erniedrigend an. Ich habe so hart für Stabhochsprung und all das andere Zeug gearbeitet, und es ist fast so, als wäre das egal. Niemand sieht das. Niemand sieht mich wirklich."

Saslow sprach auch mit Ufford, der sagte: „Ich verstehe, dass es bestimmte Leute gibt, die vom Ton meines Blogs sofort abgeschreckt werden. Jede Woche gibt es jemanden, der sich beleidigt fühlt, aber das gehört dazu, ein Comedy-Autor zu sein. Wenn sich niemand beschwert, war es wahrscheinlich auch nicht lustig. Man hofft auf eine Art Feedback.“

Ufford rechtfertigte seine Handlungen im darauffolgenden Monat weiterhin. Er sagte zu The Washington Post: „Wie würde ich mich fühlen, wenn meine Tochter diese unerwünschte Aufmerksamkeit erhalten würde? Nun, ich weiß es nicht. Ich glaube ich würde denken, was für ein Glück ich habe, dass meine Tochter eine rekordverdächtige Sportlerin ist und eine ausgezeichnete Schülerin ohne körperliche oder geistige Einschränkungen."

Ufford fuhr fort: "Es ist 2007, Leute: Zeit zu erkennen, dass attraktive Sportlerinnen immer anerkannt und - ja, manchmal – begehrt werden. Ist es richtig oder falsch? Ich weiß es nicht. Aber es ist Realität." In dieser Gleichung ließ Ufford jedoch Stokkes Gefühle aus - obwohl sie sie von den Dächern rief.